Future Matters arbeitet unter anderem mit “Akteuren der Klimapolitik” zusammen? Wer ist da konkret gemeint?
Wir arbeiten sowohl mit politischen Entscheidungsträger:innen als auch mit NGOs zusammen. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit besteht auch darin, als Think Tank zu agieren. Das bedeutet, dass wir Forschung betreiben, um die effektivsten klimapolitischen Maßnahmen zu identifizieren. Zuletzt haben wir anhand von Datenanalyse, Reviews von über 500 Publikationen und über 100 Interviews das Wirkungspotenzial, die politische Machbarkeit und die Vernachlässigung diverser Maßnahmen der EU-Klimapolitik analysiert. Wir haben die 8 vielversprechendsten Maßnahmen für die nächste Legislaturperiode der EU identifiziert und in einem Report veröffentlicht. Unsere Policy-Empfehlungen diskutieren wir seitdem mit Entscheidungsträgern in den EU-Institutionen und den Mitgliedsländern, um sie auf die politische Agenda der EU zu bringen.
Das ist sehr ambitioniert. Wie kam es zu der Idee?
Future Matters wurde 2020 gegründet. Damals haben wir soziale Bewegungen wie die Klimabewegung unterstützt, die weltweit und in Europa wuchs. Wir haben gesehen, dass es wichtig ist, von dem täglichen Aktivismus einen Schritt zurückzutreten und zu überlegen, welche politischen Strategien tatsächlich Veränderungen bewirken können. Dabei erkannten wir, dass andere Akteure der Klimapolitik ebenfalls den Bedarf haben, ihre Strategien zu reflektieren und systematisch zu priorisieren, für welche Maßnahmen sie sich politisch einsetzen.
Was macht ihr da konkret?
Wir haben beispielsweise eine neuartige Priorisierungsstudie zur EU-Klimapolitik durchgeführt. Ziel war es, die politischen Maßnahmen zu identifizieren, die den größten Einfluss auf die globale Dekarbonisierung haben könnten, aber gleichzeitig von den Akteuren in der EU bisher noch nicht ausreichend verfolgt oder aktuell unterschätzt werden. Das Ergebnis der Studie ist ein Bericht über die acht wirkungsvollsten Policy-Vorschläge.
Welche Vorschläge sind das?
Das reicht von internationalen Klima-Partnerschaften und Finanzierungsmechanismen, um erneuerbare Energien global auszubauen, über Technologieentwicklung für klimafreundliche Proteinquellen bis hin zu internationaler Diplomatie für Methan-Reduktion und Emissionshandelssysteme.
Ein zentraler Bereich ist die internationale Klimafinanzierung. Die EU hat die wirtschaftliche Stärke und die globale Reichweite, um Länder im Globalen Süden in ihrer Transformation zu unterstützen. Das betrifft insbesondere Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die auf klimafreundliche Technologien und Strategien umsteigen oder jetzt ihre Energiesysteme aufbauen wollen. Diese finanzielle Unterstützung ist entscheidend, um sicherzustellen, dass auch diese Länder genug finanzielle Mittel haben, um nicht in fossile, sondern in erneuerbare Energien zu investieren.
Eine besonders kosteneffektive Handlungsmöglichkeit ist die diplomatische Führungsrolle der EU im Bereich der Methan-Emissionen. Methan ist ein besonders starkes Treibhausgas, und die EU könnte eine Allianz von Ländern anführen, um die Reduktion von Methanemissionen weltweit viel verbindlicher zu verfolgen – besonders in der fossilen Energieindustrie, wo noch große Potenziale zur kostengünstigen Reduktion liegen.
Emissionshandel gibt es in der EU schon länger. Welche neuen Policies sind da gefordert?
Die EU war eine der ersten Regionen weltweit, die ein Emissionshandelssystem eingeführt hat, und dieses Modell wird mittlerweile von vielen Ländern übernommen. Wir glauben, dass die EU hier weiterhin eine führende Rolle spielen kann, insbesondere indem sie das System auf weitere Sektoren ausweitet. Ein Beispiel ist der Landwirtschaftssektor, wo es bisher nicht genug Maßnahmen gibt, um Emissionen zu reduzieren, obwohl dieser Sektor weltweit für einen großen Teil der Treibhausgase verantwortlich ist. Es ist wichtig, dass die EU hier Lösungen entwickelt und den Emissionshandel auch auf diesen Bereich ausweitet. Dadurch können andere Länder von der Vorreiterrolle und den Erfahrungen der EU profitieren.
Du hast vorhin auch Technologie genannt. Was verbirgt sich dahinter?
Die EU hat in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass sie gezielt Leitmärkte für saubere Technologien schaffen und diese dadurch weltweit voranbringen kann. Ein gutes Beispiel ist die Solarenergie. Durch die Schaffung eines Marktes für Photovoltaik hat die EU dazu beigetragen, die Kosten dieser Technologie drastisch zu senken, was ihren globalen Einsatz massiv beschleunigt hat. Wir sind überzeugt, dass die EU ähnliche Erfolge in anderen Bereichen erzielen kann.
Besonders vielversprechend sind alternative Proteine. Mit dem wachsenden globalen Bedarf an Nahrungsmitteln und Proteinen ist es entscheidend, gesunde, nachhaltige und emissionsarme Alternativen zu emissionsintensiven Tierprodukten zu entwickeln. Die EU könnte hier durch gezielte Förderungen, Marktanreize und Beschleunigung des Marktzugangs eine Führungsrolle einnehmen und Innovationen in diesem Bereich vorantreiben, um sowohl die Ernährungssicherheit zu gewährleisten als auch die Emissionen im Lebensmittelsektor zu reduzieren.
Das klingt nach konkreten und vielversprechenden Ansätzen. Was sind die nächsten Schritte, um diese Prioritäten voranzutreiben?
Die nächste Phase ist die Umsetzung. Wir haben die Studienergebnisse bereits in Brüssel präsentiert und mit den Berater:innen der zuständigen EU-Kommissare diskutiert. Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass diese priorisierten Maßnahmen auf der politischen Agenda landen und die zuständigen Ressorts der Kommission diese Maßnahmen ernsthaft verfolgen.
Welche Auswirkungen hatte die EU-Wahl auf eure Strategie? Was ist von der neuen Kommission zu erwarten?
Durch die Europawahl haben sich die politischen Mehrheiten im Europäischen Parlament so verändert, dass effektive Klimapolitik weiter möglich, aber herausfordernder als in der letzten Legislaturperiode ist. Es ist wichtiger geworden, aufzuzeigen, wie klimapolitische Maßnahmen auch dazu beitragen, andere strategische Ziele der EU zu erreichen und die wirtschaftlichen Grundlagen zu erhalten. Mit Teresa Ribera, Dan Jørgensen und Wopke Hoekstra hat Ursula von der Leyen ein ambitioniertes und erfahrenes Team von Kommissar:innen damit beauftragt, den European Green Deal weiterzuverfolgen. Das ist vielversprechend. Da der politische Fokus jetzt auf der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie liegt, ist es wichtig, klimafreundliche Technologien zu fördern und nicht länger an fossilen Technologien festzuhalten. Bei den aktuellen geopolitischen und ökonomischen Herausforderungen ist es entscheidend, dass die EU weiter im Klimaschutz mit anderen Industrieländern und Ländern des Globalen Südens zusammenarbeitet, um den Anschluss an wachsende Märkte für saubere Technologien nicht zu verlieren. Das System kann weiterhin umgestaltet werden – unter anderen Überschriften als vorher.
Ihr unterstützt ja auch NGOs mit Beratung und Expertise. Welche Strategien haben sich aus eurer Sicht als erfolgreich erwiesen?
Für NGOs und Aktivist:innen ist es entscheidend, die richtigen politischen Prioritäten zu setzen. Es ist wichtig, sich auf Maßnahmen zu konzentrieren, die sowohl eine hohe Emissionswirkung haben als auch realistisch umsetzbar sind. Beim Engagement gegen die Klimakrise passiert es uns häufig, dass unsere politischen Ziele sich an den Themen der medialen Debatte orientieren, obwohl diese Ziele vielleicht gar nicht vielversprechend sind. Oder wir verteilen unsere Ressourcen auf zu viele verschiedene Ziele und können jedes einzelne dadurch nicht effektiv verfolgen.
Vor einer Kampagne sollten Klima-Akteure systematisch analysieren, welche Policies den größten Einfluss haben und gleichzeitig politisch erreichbar sind. Die Auswahl der richtigen Ziele bestimmt häufig schon, in welcher Größenordnung der Impact einer Kampagne liegen kann. Wir haben dafür Methoden und Tools zur Policy-Priorisierung entwickelt. Der nächste Schritt ist, relevante Zielgruppen und Entscheidungsstrukturen sowie die Vertrauensnetzwerke, die diese Entscheidungsträger beeinflussen, zu identifizieren. Um die Zielgruppe zu überzeugen, ist es entscheidend, Argumente und Erzählungen zu entwickeln, die an den Interessen und Werten der Zielgruppe anknüpfen. Für all diese Schritte bieten wir Bildungsangebote und Strategieberatung an.
Ist die Klimabewegung auf dem richtigen Weg?
Die Klimabewegung hat in den letzten Jahren enorm viel erreicht: Sie hat es geschafft, Klimaschutz als politische Priorität auf die Agenda zu bringen und zu halten, auch wenn andere Krisen und Kriege in den Vordergrund gerückt sind. Trotzdem bleibt die Klimakrise auf der politischen Agenda und klimapolitischer Fortschritt ist möglich. Wichtig ist, dass die Klimabewegung in den kommenden Jahren die sich bietenden Gelegenheiten nutzt, um politischen Druck zur Umsetzung der effektivsten Klimamaßnahmen aufzubauen. Wir müssen aufzeigen, dass die Klimaschutzmaßnahmen notwendig sind, um auch die anderen aktuellen gesellschaftlichen und politischen Ziele zu erreichen.
Wobei sich natürlich die Frage des “Wie” stellt. Sind aktivistische Instrumente wie jene der Letzten Generation ein zielführender Ansatz?
In der Klimabewegung braucht es verschiedene Rollen. Es braucht Akteure, die Aufmerksamkeit auf den Klimaschutz lenken, wenn er droht, vergessen zu werden. Es braucht Akteure, die gesellschaftliche Mehrheiten für den Klimaschutz schaffen, die den politischen Willen verschieben können. Und es braucht Akteure, die im Rahmen dessen, was gerade politisch möglich ist, die effektivsten Maßnahmen voranbringen. All diese Rollen sind für den Erfolg der Klimabewegung unverzichtbar – entscheidend ist, dass sich die Akteure in den verschiedenen Rollen untereinander koordinieren und in dieselbe Richtung arbeiten.
Wie hilft es euch in eurer Arbeit, Teil der Climate Lab Community zu sein?
Für mich persönlich ist es zunächst mal eine schöne, produktive Arbeitsumgebung, die meine Arbeit positiv beeinflusst. In der Climate Lab Community kann ich mich mit Gleichgesinnten über Klimawandel und Nachhaltigkeit austauschen. Das Feedback zu unseren Priorisierungs-Methoden von Klienten, die auch Teil der Climate Lab Community sind, war für uns zum Beispiel sehr hilfreich.
Was sind eure nächsten Milestones?
Mit unserer aktuellen Priorisierungsstudie zu den wirkungsvollsten EU-Klima-Policies informieren wir politische Entscheidungsträger:innen und zivilgesellschaftlichen Akteure, für welche Policies sich das Engagement in der nächsten EU-Legislaturperiode besonders lohnt. Aktuell geht es darum, diese Empfehlungen mit der neuen Europäischen Kommission zu teilen, damit sie die Policies in der nächsten Legislaturperiode berücksichtigen kann.
Carl Frederick Luthin ist Strategieberater und Policy Lead für EU-Klimapolitik bei der Non-Profit-Organisation Future Matters und Teil der Climate Lab Community. Er ist für die Kontakte von Future Matters mit politischen Entscheidungsträger*innen auf der europäischen Ebene zuständig.
Fotocredits: Future Matters