Im 12. Wiener Gemeindebezirk steht das Wohngebäude Pachmüllergasse 18 im Besitz der W.CREATE GmbH – einem der 32 Konsortiumsmitglieder von KRAISBAU. Vor über 100 Jahren, zur Zeit von Kaiser Franz Joseph erbaut, hat das Gebäude einiges erlebt. Erster Weltkrieg, erste Republik, Zweiter Weltkrieg mit schwerem Bombenschaden, Nachkriegszeit und EU-Beitritt. Auch wenn 100 Jahre für ein Gebäude noch kein Alter sind, für das Wohnhaus Pachmüllergasse 18. ist die Zeit abgelaufen. Zu schlecht ist der Zustand des Gebäudes und zu schlecht ist die Bausubstanz. Das Gebäude muss abgetragen und neu gebaut werden. Für KRAISBAU ist das die perfekte Gelegenheit, zirkuläres Bauen in der Praxis zu entwickeln und zu testen.
Wann ist abreißen “nachhaltig”?
Natürlich beginnt zirkuläres Bauen nicht erst mit dem Abriss von Gebäuden, sondern lange davor. Bevor die Demontage in Betracht gezogen wird, sollten alle anderen Optionen geprüft und ausgeschöpft sein. Kann das Objekt saniert werden? Kann es umgenutzt werden? Lässt sich die Lebenszeit irgendwie verlängern?
Bei mehr als 2 Millionen Gebäuden in Österreich ist jedoch klar, dass für einige Objekte die Antwort auf all diese Fragen “nein” lautet. KRAISBAU hat es sich unter anderem zum Ziel gesetzt, ökonomisch tragfähige Wege zu finden, Gebäude kreislauffähig rückzubauen – sprich den Abriss von Gebäuden so zu gestalten, dass möglichst viele Bestandteile und Rohstoffe erneut zur Anwendung kommen können. Das ist kein leichtes Unterfangen, wenn vor 100 Jahren bei der Errichtung des betreffenden Objektes kein Gedanke an einen späteren Abriss und die Wiederverwendung verschwendet wurde. Umso wichtiger ist, dass für Gebäude, die wir heute errichten, der Rückbau von Anfang an mitgeplant wird.
Neues Know How für den zirkulären Rückbau
In der Pachmüllergasse sind die Voruntersuchungen bereits abgeschlossen. Ziel ist es, das Gebäude 2025 mit den aktuell verfügbaren und wirtschaftlich möglichen Methoden nachhaltig und kreislauffähig abzutragen und als Holz-Hybrid-Bau mit größtmöglicher Kreislauffähigkeit neu zu errichten. Damit ist gemeint, dass die Recyclingfähigkeit und Demontagefähigkeit des neuen Gebäudes maximiert werden soll. Gleichzeitig soll das neue Wohnhaus die bestmögliche Wohnqualität bieten und ab 2026/27 die Wohngegend rund um den Meidlinger Hauptbahnhof aufwerten.
Damit bei Rück- und Neubau so viele Materialien wie möglich aus dem alten Gebäude zur Wiederverwendung gelangen, ist ein frühzeitiger und integraler und kollaborativer Planungsprozess essentiell, den W.CREATE schon Anfang 2023 gestartet hat. Im Rahmen des KRAISBAU-Projekts werden eine ganze Reihe von Maßnahmen von Experten des Konsortiums für einen zirkulären Rückbau durchgeführt: TU Wien führt Schad- und Störstofferkundung, Materialmengen und Stoffstromanalyse durch. Basierend darauf wird eine Materialbilanz und Wirtschaftlichkeitsanalyse des zirkulären Rückbaus gemacht. Daraufhin werden Baurestmassen soweit wie wirtschaftlich und technisch möglich wiederaufbereitet. Beispiele sind die Wiederaufbereitung von Hochbaurestmassen zu Recyclingbeton durch Wopfinger, das Recycling der Rigipswände mit Unterstützung durch Saubermacher oder die Wiederverwendung des Parketts. Dabei soll auch künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen, um den Aufwand soweit wie möglich zu minimieren – schließlich soll das Projekt auch ökonomisch nachhaltig sein.
Aus der Praxis lernen
Die gewonnenen Erkenntnisse fließen direkt in das BMK-Leitprojekt KRAISBAU ein, das zum Ziel, hat Know-How über zirkuläres Bauen in diversen Factsheets zusammenzufassen und Wissen durch Workshops und Coaching an Stakeholder der Baubranche weiterzugeben.
Der Neubau in der Pachmüllergasse 18 erfolgt unter Einhaltung der Europäischen Qualitätszertifikatkriterien für nachhaltiges Bauen. Am Ende soll ein Gebäude stehen, das im Einklang mit Natur und Mensch gebaut wurde und aus ökologischer wie ökonomischer Sicht nachhaltig und marktfähig ist.<