Es gibt Momente, in denen sich Grenzen zwischen Kulturen auflösen – wie bei jener bewegenden Veranstaltung, bei der Stimmen aus dem Amazonas auf europäische Perspektiven trafen. Die Stimmen dieses Austauschs: Bu’ú Kennedy, spiritueller Leiter und Künstler des Instituto Ʉhtã Bo’ó Wi’i, Maria Amália Souza vom Fundo Casa Socioambiental und Ìdòwú Akínrúlí, Director of Culture and Communication bei Cobra Canoa – drei Perspektiven, die gemeinsam ein neues Verständnis für nachhaltige Klimalösungen eröffneten. Im Zentrum stand eine fundamentale Frage: Müssen wir wirklich neue Antworten erfinden, oder übersehen wir die Weisheit, die in traditionellen Kulturen seit Jahrtausenden existiert?

Die Verbindung zur Natur wiederherstellen
Bu’ú Kennedy eröffnete den Dialog mit einer musikalischen Einführung – nicht nur als künstlerischer Auftakt, sondern als Methode, um mit den im Raum vorhandenen Energien in Verbindung zu treten. Seine Botschaft war klar: Wenn wir der Klimakrise begegnen wollen, dürfen wir nicht nur nach neuen Antworten suchen. Vielleicht liegt die Lösung bereits in den traditionellen Wegen und im kollektiven Lernen. „Wir sind verbunden – mit der Erde, mit den Sternen, miteinander“, erinnerte Bu’ú die Teilnehmer:innen. Er lud alle ein, über unsere Identität als Menschen nachzudenken und unsere Verbindungen zu allem um uns herum neu zu bewerten. Der Amazonas sei das Herz unserer Welt, betonte er, und wir seien alle mit ihm verbunden.
„Unser Haus steht in Flammen“
„Wir mögen aus verschiedenen Ländern und von unterschiedlichen Orten dieser Welt stammen, aber der Planet ist nur einer. Unser Haus ist nur eines. Und unser Haus steht in Flammen.“ Mit diesem eindringlichen Appell konfrontiert der Kurzfilm „Sacred Streams“ die Zuschauer im Climate Lab. Das Werk von Cobra Canoa – einer interkulturellen Initiative, die indigene Stimmen stärkt – präsentiert den Amazonas als Herzstück unserer Erde. Die Bewegung verbindet traditionelles Wissen mit dem modernen Diskurs zum Umweltschutz und fördert einen Wandel hin zu einem regenerativen, spirituell verbundenen Miteinander im Einklang mit der Natur.
Das Paradox der Philanthropie
Maria Amália Souza beleuchtete eine paradoxe Realität: „Die indigenen Völker des Amazonas sind für den Rest der Welt sichtbarer als in ihrem eigenen Heimatland.“ Sie stellte die kritische Frage, warum Gelder aus philanthropischen Quellen trotz guter Absichten oft nicht dort ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Mobilisierung bedeutet nicht automatisch gerechte Verteilung – besonders in Bezug auf abgelegene Gebiete. Der Casa Fund setzt hier bewusst auf einen anderen Weg: direkte, flexible Förderung kleiner und mittelgroßer indigener Organisationen, mit einem besonderen Fokus auf Frauen und Jugendliche.
Wie wirkungsvoll direkte Unterstützung indigener Gemeinschaften sein kann, zeigt der 2024 erschienene Bericht des Casa Socio-Environmental Fund mit dem Titel “Supporting Solutions From Traditions„. Zwischen 2018 und 2023 konnten durch den Fonds 645 indigene Projekte mit insgesamt 6,5 Millionen US-Dollar gefördert werden – initiiert von 402 Organisationen aus 182 verschiedenen ethnischen Gruppen. Die Projekte leisten einen bedeutenden Beitrag zum Schutz von mehr als 63 Millionen Hektar Amazonaswald, zur Bewahrung traditionellen Wissens sowie zur sozialen und ökologischen Gerechtigkeit.
Der Bericht unterstreicht nicht nur die hohe Wirksamkeit dieses partizipativen Fördermodells, sondern auch das Vertrauen, das indigene Organisationen dem Fonds entgegenbringen: 96 % der Geförderten bewerten die Zusammenarbeit als positiv. Trotz bürokratischer Hürden und begrenzter Mittel zeigt sich: Indigene Gemeinschaften verfügen über das Wissen und den Willen, mit ihrer Expertise und ihrem Engagement selbstbestimmt und wirkungsvoll zum Schutz ihrer Lebensräume beizutragen.Es fehlt oft nur an den nötigen Ressourcen.

Wissen, Erfahrung und Herz
„There is knowledge, there is experience and there is heart.“ Mit diesen Worten brachte Souza ihre Einstellung zur Inklusion indigener Bevölkerungsgruppen auf den Punkt. Es sei das Herz, in dem wirkliche Verhaltensänderung beginnt. Die direkte Unterstützung indigener Gemeinschaften birgt Chancen und kann ihre intrinsischen Werte und Prioritäten beeinflussen.Es braucht Zeit, um tragfähige Beziehungen zu indigenen Bevölkerungsgruppen zu entwickeln, ihre Lebensweisen kennenzulernen und eine respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe zu etablieren. „Die eigentlichen Lösungen sind indigener Natur“, betonte sie. Die Zusammenarbeit benötigt einen mehrschichtigen Vertrauensaufbau – sowohl auf philanthropischer als auch auf persönlicher Ebene.
Sie betonte, wie entscheidend es sei, den Zugang zu Märkten und Unterstützung im Sinne der Gemeinschaften zu gestalten – respektvoll, langfristig und orientiert an deren Lebensrealitäten. Souza betont: Finanzielle Hilfe allein reicht nicht aus, wenn sie nicht mit echtem Verständnis und Respekt einhergeht. Die indigenen Völker seien von Natur aus Händler, aber sie agieren nach ihren eigenen Bedingungen und Wertvorstellungen.
Praktische Herausforderungen vor Ort
Ein entscheidender Aspekt, der oft übersehen wird, ist die logistische Unterstützung für indigene Gemeinschaften. Bu’ú Kennedy schilderte die praktischen Herausforderungen: Die Reisezeit zwischen Dörfern kann Tage dauern, der Zugang zu Gerichten ist kompliziert, und Reisen in die Hauptstadt Brasília sind kostspielig. Diese strukturellen Hindernisse erschweren es den lokalen Gemeinschaften, ihre Rechte durchzusetzen und an Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Der bereits erwähnte Report zeigt: Investitionen in Infrastruktur – etwa in Mobilität, digitale Technologien oder die Unterstützung junger Menschen – geraten ins Stocken, wenn indigene Gemeinschaften an bürokratischen Hürden, fehlender technischer Ausstattung und schwer zugänglichen Regionen scheitern. Das erschwert nicht nur ihre Arbeit, sondern auch den Schutz ihrer Territorien.
Gemeinsam nach vorne blicken
Bu’ú Kennedy betonte, dass es im Kampf der indigenen Völker nicht nur um Land geht, sondern auch um die Bewältigung der Klimakrise, die zum Verlust traditioneller Nahrungsquellen und Jagdtiere sowie Fischen führt. Trotz der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der indigenen Gemeinschaften im Amazonasgebiet spricht er trotzdem generell lieber über gemeinschaftliche Anstrengungen für Lösungen, statt über negative Perspektiven.
Dieser Dialog lieferte vielleicht nicht alle Antworten – aber er machte eines deutlich: Echter Wandel beginnt mit echtem Zuhören. Nicht als symbolische Geste, sondern als innere Haltung. Solange Begriffe wie Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder soziale Ungleichheit abstrakt bleiben, berühren sie uns kaum. Doch in dem Moment, in dem hinter den Zahlen Gesichter sichtbar werden, entsteht etwas Entscheidendes: Verantwortungsgefühl. Und daraus wächst der Wille zu handeln.
Die Impact Days sind Teil des Wiener Start-up-Festivals ViennaUp der Wirtschaftsagentur Wien.
Autorin: Elisabeth Doris Rauter-Ibovnik
Bild: Markus Palzer-Khomenko