Otto Handle: Daten für die Kreislaufwirtschaft

Gastbeitrag von Otto Handle zum Digitalen Produktpass in der neuen Bauproduktenverordnung

Am 18. Dezember 2024 ist die neue Bauproduktenverordnung in Kraft getreten. Neben stark erhöhtem Umfang der betroffenen Produktbereiche, erhöhten Anforderungen und wesentlich besserer Integration von ökologischen Bewertungen bringt die Anlehnung an die Ökodesignverordnung einige Digitalisierungsaufgaben mit sich - und erhöht damit die Kreislauffähigkeit von Bauprodukten.

Neben dem ersten Legislativpaket des „Green Deal“ zur Umsetzung der ambitionierten Umweltschutzbemühungen der Europäischen Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen setzt die EU auch andere strategische Ziele konsequent um, beispielsweise den gemeinsamen europäischen Datenraum und die neue europäische Standardisierungsstrategie. Ein wichtiges Instrument, das zu mehreren dieser Zielsetzungen beitragen wird, ist der Digitale Produktpass.

Künftig werden Anbieter („economic operator“) in beinahe allen Produktsektoren digitale Produktpässe bereitstellen müssen, wenn sie ihre Produkte in der Europäischen Union verkaufen wollen. Entsprechend Artikel 75 der neuen Bauproduktenverordnung ist der digitale Produktpass – konkret ab 2028 – auch im Bauwesen anzuwenden und folgt damit mittelfristig den künftig ebenfalls maschinenlesbar abzubildenden „Erklärungen von Leistung und Konformität“ (dopc – declaration of performance and conformity nach.

Keine Datenbank
Wichtig für das Verständnis des Digitalen Produktpass – Systems ist, dass es sich dabei nicht um eine riesige Produktdatenbank handelt, sondern um ein dezentrales, standardisiert nutzbares Informationsnetzwerk, welches mit hoher Zuverlässigkeit sämtliche relevanten Informationen dauerhaft kostenfrei und niederschwellig zur Verfügung stellt – auch dann, wenn es den Produzenten vielleicht gar nicht mehr gibt. Dazu wird ein ausgeklügeltes Backupsystem implementiert, sodass die digitalen Informationen zuverlässig dauerhaft in jeder Anwendung genutzt werden können.

Offen für Alle
Die Bereitstellung von digitalen Produktpässen soll so einfach sein wie die Veröffentlichung einer Website – und genauso einfach zu nutzen. Die Zielvorgaben der EU sind hier mehr als klar. KMU-tauglich, niederschwellig, leicht verständlich, anbieterunabhängig und auf geläufigen Standards basierend soll das DPP-System für jede und jeden problemlos nutzbar sein. Die 480.000 betroffenen österreichischen Kleinstunternehmen wird es freuen.

Niederschwelliger Zugang bedeutet auch kostenfrei. Jeder Interessent, egal ob persönlich oder in Form von Software, soll jederzeit zu jedem DPP für jeden zulässigen Zweck kostenfrei und einfach Zugang haben. Im einfachsten Fall muss der Webbrowser am Handy dafür genügen. Auch die (verpflichtende) Bereitstellung soll für die „economic operator“ (also die Marktteilnehmer) mit möglichst geringem Aufwand erfolgen können. Dadurch können vielfältige Anwendungen realisiert werden und der Wert des digitalen Produktpasses kommt über den gesamten Gebäudelebenszyklus allen Projektbeteiligten zu Gute.

Allerdings müssen die Daten vorher erarbeitet werden. Marktteilnehmer, welche Produkte als Erzeuger oder „In Verkehr Bringer“ erstmals in der Europäischen Union auf den Markt bringen, sind mit umfangreichen Vorarbeiten zur Erstellung der Inhalte konfrontiert. Der DPP macht das zwar nicht einfacher, stellt aber zumindest keine zusätzliche Hürde dar und ist ein wertvolles Werkzeug, um den bestmöglichen Nutzen aus diesen Daten zu ziehen.

Keine Definition der Informationsanforderungen
Es gibt eine klare Trennung zwischen dem DPP-System als produktgruppenübergreifende Infrastruktur und den Inhalten, welche über den DPP zu transportieren sind. Das DPP System definiert nicht, welche Informationen für Hemden, Ziegel, Lüftungsgitter oder Hochvoltbatterien benötigt werden. Es stellt nur eine effiziente Infrastrukturdefinition zur Verfügung, welche alle Informationen für alle Anwendungen jederzeit zugänglich macht. Diese Trennung spiegelt sich auch in der legistischen Basis. Während der DPP aufgrund eines „Standardisation Request“ der europäischen Kommission von den europäischen Normungsorganisationen (CEN / CENELEC) im JTC 24 definiert wird, erfolgt die Festlegung der Inhalte und Informationen auf ganz anderer Ebene, üblicherweise durch delegierte Rechtsakte der europäischen Kommission. Diese folgen den grundlegenden Definitionen der neuen Ökodesignverordnung und sektorspezifischen Begleitdokumenten wie der Batterieverordnung (in Kraft seit Februar) oder der Bauproduktenverordnung (Herbst 2024).

Sicherheit, Lebensdauer und Kreislauffähigkeit als Ziel
Die geforderten Informationen werden sich zwar je nach Produktgruppe unterscheiden, die Zielsetzung ist aber immer die gleiche. Die über den DPP dauerhaft zugänglichen Informationen sollen die Lebensdauer der Produkte und die Sicherheit in deren Verwendung erhöhen, Reparaturen erleichtern und den negativen Umwelteinfluss in Produktion, Betrieb und Entsorgung verringern. Genau genommen soll Entsorgung gar nicht mehr stattfinden, sondern durch weitestgehende Wiederverwendung und Wiederverwertung ersetzt werden. All dies benötigt Information. Der DPP macht diese zugänglich.

Info-Schatztruhe – einen Lebenszyklus lang
Gerade im Bauwesen ist eine derart zuverlässige und vollständige Informationsquelle wie das System des Digitalen Produktpass  in vielen Anwendungen über einen langen Zeitraum hinweg hilfreich, um verschiedenste Tätigkeiten und Vorgänge zu optimieren. Die Kombination der bereitgestellten Daten mit den Objekten der dreidimensionalen „BIM“ Planung von Gebäuden ermöglicht vielfältige Nutzungsformen im Gebäudebetrieb, der Wartung, Umnutzung und der Wiederverwendung der im Gebäude vorhandenen Wertstoffe.

Geht sich das alles aus?
Die Zielvorgabe der neuen europäischen Standardisierungsstrategie ist es, die Fertigstellung von neuen Normstandards innerhalb von zwei Jahren zu ermöglichen. Der diesbezügliche Wunsch der Europäischen Kommission ist verständlich, wurden doch seit Einführung der derzeitigen europäischen Bauproduktenverordnung 2011 nur 13 neue harmonisierte Standards für Bauprodukte entwickelt.

Standards in zwei Jahren zu entwickeln ist herausfordernd – und manchmal unumgänglich. Konkret ist der zuständige JTC 24 aufgefordert, bis Ende 2025 die nötigen Standards für den DPP zu entwickeln, da er laut Batterieverordnung bereits Anfang 2027 verpflichtend umzusetzen ist. Über 180 Experten aus ganz Europa arbeiten mit großem Einsatz daran, die klaren Vorgaben des „Standardisation Request“ rechtzeitig umzusetzen und werden dabei auch von der EU-Kommission durch die Direktion „DG GROW“ inhaltlich unterstützt.

Einer für Alle
Ein DPP System für alle Produkte, für alle Anwendungen, für alle Anwender und Anwenderinnen, effizient, niederschwellig und kostenfrei für alle Aufgaben nutzbar. Der mögliche ökologische und ökonomische Nutzen ist enorm, besonders im Zusammenspiel mit dem digitalen Gebäudemodell. Bereits heute durchgeführte Investitionen in Maßnahmen zur taxonomiekonformen Nachhaltigkeitsberichterstattung, EPD und Produktzertifizierung und Vorbereitung auf die Anforderungen der neuen Bauproduktenrichtlinien kommen den Unternehmen bei der Einführung des digitalen Produktpasses sehr zu Gute, weil der auf diesen Informationen beruht.

Zum Autor
Baumeister Otto Handle standardisiert und realisiert mit seinem Unternehmen inndata seit 25 Jahren gemeinsam mit den Branchenverbänden VBÖ, F.B.I. und ZIB den digitalen Datenaustausch in der Baustoffwirtschaft. Er ist für die Bundesinnung Baugewerbe in verschiedenen Normengremien aktiv und leitet seit April als Convenor die europäische Arbeitsgruppe JTC 24 WG 4 „digital product passport – interoperability“

Weitere Informationen:

 

Foto: Bernd Golas

Ich möchte mich bewerben. Benachrichtige mich!